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Früher gab es hier im Schloss Geister, oder?
Die letzte Schloss-Maid von Merlau.
Drei weiße Jungfrauen sollen das Merlauer Schloss erbaut haben, wie jeder in Merlau weiß. Am Ende, als das Schloss verödet war, war nur noch eine von ihnen zu sehen. Sie ging oft zur Mühle, von Kopf bis Fuß in Weiß gekleidet und trug seufzend einen großen Schlüsselbund bei sich. Man hörte sie nie sprechen. Als das letzte Schloss dem Erdboden gleichgemacht und die letzte Mauer weggebrochen war, sah man sie vor Sonnenaufgang noch einmal am alten Graben sitzen, immer dünner und durchsichtiger werdend, bis sie, wie der Morgennebel und der Tau der Wiesen, vor dem kommenden Tageslicht in Duft zerfloss. Seitdem ist jede Spur von ihr verschwunden.
Der schlafende Hirte vor dem Merlauer Schloss
In der Adventszeit ging einer der alten Merlauer Hirten in der Nähe des Schlosses spazieren, als er merkte, dass die Luft plötzlich schwül wurde und ihn ein unwiderstehliches Verlangen überkam, sich hinzulegen und auszuruhen. Fast ohne Verzögerung streckte er sich auf dem Boden aus und schlief, den Kopf aufgestützt, mit einer Hand über den Augen. Er hatte kaum ein paar Minuten geschlafen, als er träumte, dass er eine süße Musik in der Erde unter ihm hörte. Er rieb sich erstaunt die Augen und hörte alles ganz deutlich. Eine große, weiße Frauengestalt mit großen, dunklen, tiefliegenden Augen und schwarzem Haar stand vor ihm. Sie hielt ihm einen Schlüsselbund vor das Gesicht. Verwirrt wandte sich der Hirte ab, aber sie schwebte über ihm und bot ihm erneut eifrig die Schlüssel an. Jetzt sprang er auf und schaute weg, aber sie versuchte ein drittes Mal, ihm die Schlüssel aufzuzwingen. Im selben Moment hörte er ein schreckliches Krachen wie ein Donnerschlag, und die Gestalt floh.
Er eilte nach Hause zu seiner Frau und seinem Kind und erzählte ihnen alles. Die weiße Frau tat ihm nichts zuleide und sprach auch kein Wort, aber ihre Gesten waren so flehend und mitleidig, dass der Hirte sein Leben lang bereute, ihrem Wunsch nicht entsprochen zu haben. Sie ist ihm nie wieder erschienen.
Die Dorfkirche in Merlau war längst baufällig geworden, und die Gottesdienste fanden in der ansonsten verfallenen Schlossruine statt, von der ein Teil noch gut erhalten, aber völlig unbewohnt war. In einem Nebengebäude, der sogenannten Kanzlei, erteilte der Pfarrer den Konfirmanden Unterricht.
Es kam oft vor, dass die Kinder auf den Pfarrer warten mussten und sich die Zeit vor dem Unterricht mit allerlei Vergnügungen in den leeren Räumen des Schlosses vertrieben. Oft spielten sie Verstecken und tobten in lauter Fröhlichkeit durch die stillen Räume. Einmal hatte ein blasses Waisenkind ein gutes Versteck gesucht und war schließlich in ein Zimmer gestolpert, in dem ein großer alter Ofen stand. Es kroch unter den Ofen und hielt den Atem an, damit seine Kameraden es nicht finden sollten.
Da schlug das Schloss-Uhr elf, die Zeit, in der der Unterricht beginnen sollte. Das Kind wollte gerade sein Versteck verlassen, als eine ganz in Weiß gekleidete Frau an der Tür erschien. Wie in einem Traum schwebte sie auf das Kind zu und hielt ihm einen Schlüsselbund vor. Das Kind, erstarrt vor Schreck, schaffte es, zum Ausgang zu springen. Doch da stellte sich ihm die weiße Frau in den Weg, hielt ihm die Schlüssel hin und rief: "Nimm sie! Nimm sie!". Doch das Kind riss die Tür auf und versuchte zu fliehen. Daraufhin wurde die weiße Frau von heftigem Zorn erfüllt und ließ das Kind passieren, warf ihm aber die Schlüssel so heftig an den Kopf, dass es rückwärts zu Boden fiel und ihm das Blut über das Gesicht lief.
Das Kind lag lange Zeit in einem tiefen benommenheit, richtete sich aber schließlich auf und machte sich auf den Weg zu seiner Klasse, nur um festzustellen, dass der Unterricht längst vorbei war. Die Zeit war wie im Flug vergangen, aber er wusste nicht, wie. Und niemand hätte seine Geschichte für wahr gehalten, wenn nicht der Abdruck der Schlüssel auf seinem verwundeten Kopf sichtbar geblieben wäre.
Diese drei Geschichten sind wahr, was auch immer das bedeutet